Im Oktober 1911 übersiedelte Ernst Ludwig Kirchner aus der sächsischen Residenz Dresden in die Reichshauptstatdt Berlin. In einem Tingeltangel-Lokal lernte er die beiden aus einfachen Verhältnissen stammenden Schwestern Erna und Gerda Schilling kennen, die als Nachtklubtänzerinnen auftraten und gelegentlich der Prostitution nachgingen. Der Maler holte Erna aus diesem Milieu, er fand in ihr nicht nur die Geliebte und das Modell für die Kunst, sondern die lang ersehnte „freie Kameradschaft mit der Frau“.
Das Porträt entstand 1913 in einer Situation der Krankheit und melancholischen Gestimmtheit von Erna Schilling, die Kirchner als nervöses, in sich gekehrtes „Großstadtgewächs“ vor einer Wandbespannung in seinem Atelier in Szene setzte: „Umschlossen von einer blauen Farbform vor purpurviolettem Grund erscheint Erna Schilling mit ihrem extravaganten Hut als Vertreterin großstädtischer Eleganz. Durch die vibrierend spitzigen Formen wie im gelblichen Inkarnat mit violettgrauen Schatten werden Sensibilität und Reizbarkeit anschaulich. Der nervöse Pinselduktus wie auch die intensive Farbigkeit, die erstmals den reifen Stil von Kirchners Großstadtbildern erkennen lassen, verwandeln dieses Bildnis einer ebenso selbstbewußten wie skeptisch distanzierten Frau zum koloristischen Psychogramm eines expressionistischen Menschenbildes am Vorabend des Ersten Weltkrieges.“ (Peter-Klaus Schuster, 1992).