• Laufzeit26. April 2012 - 05. August 2012
  • OrtHamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
  • Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie.

Foto: David von Becker

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Die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin freut sich, erstmals eine museale Einzel-ausstellung des chinesischen Künstlers Qiu Shihua in Europa präsentieren zu können. Anhand einer Auswahl von Werken, die frühe Arbeiten der siebziger Jahre bis zu jüngst entstan- denen umfasst, wird das Œuvre Qiu Shihuas vorgestellt. Damit bietet die Ausstellung einen repräsentativen Überblick über das Schaffen Qius, dessen Werk ohne Zweifel zu den heraus- ragenden künstlerischen Leistungen der Gegenwartskunst gehört.

Qiu Shihuas Werke scheinen auf den ersten Blick monochro- me, fast weiße Gemälde zu sein. Nach längerem Einsehen werden jedoch in den malerischen Flächen weiträumige Land- schaften sichtbar, die sich je nach Blick immer detailreicher darstellen oder sich als mögliches Bild wieder entziehen. Erst eine intensive Betrachtung ermöglicht die komplexe Sichtbar- keit der Bilder. Über das Sehen hinaus wird somit das „den- kende Auge“ gefordert, wie es nur in wenigen Fällen der jüngeren Kunstgeschichte geschieht.

Mit den weißen Landschaften befragt der Künstler das Konzept von Sichtbarkeit in der Malerei. In und hinter dünnen, weißen Farbschichten und Lasuren lässt der Künstler seine Motive aufscheinen und wieder verschwinden. Die immer neue Erpro- bung des Bildtypus weiße Landschaft und die unermüdliche Beschäftigung mit den Nuancen seiner Veränderbarkeit verweist auf eine taoistische Denk- und Arbeitsweise. Sie ist gekenn- zeichnet vom Prozess des Wiederholens, in dem ein Wechsel- spiel von An- und Abwesenheit, Fülle und Leere, Darstellung und Entrückung ausgelotet wird. Der Prozess der Darstellung eines Motivs ist der eine Pol, die gleichzeitige Loslösung von jeglichem Motiv der andere. Das Sehen wird zu einem Wechselspiel der Wahrnehmung. Es lassen sich Verbindungen zur Tradition chinesischer Malerei des „Shanshui“ (Berg-Wasser)-Malerei herstellen, die ähnliche Weisen des Sehens als Prozess zwischen zwei Polen von motivischer Leere und Fülle voraussetzte.

Im Weiteren ist Qiu Shihuas Werk zeitgenössische Malerei, die ihre Ausformung einer intensiven Beschäftigung mit westlicher Kunst verdankt. Der Betrachter blickt in Qius Werken in weite, verlassene Ebenen – menschenleer und einsam. In der schwa- chen Farbigkeit dieser Landschaften entwickeln sich atmo- sphärische Effekte: nebelig verschwimmen Konturen während sich andere Stellen motivisch im transparent Opaken verdich- ten. Der Betrachter wird, indem er sich auf die Bilder einlässt, zugleich auf die eigene Wahrnehmung und seine Umwelt ver- wiesen. Diese Art der Werkerfahrung steht in Bezug zur euro- päischen Romantik, bei der Betrachter und Landschaft eine enge Verbindung eingehen. Die konsequente Verwendung der Farbe Weiß in Qius Malerei ist ein weiterer essentieller Para- meter für seine künstlerischen Reflexionen. Hierin steht er in der Tradition abstrakter Malerei westlicher Künstler, die in der Kunst seit 1945 extensiv mit der Farbe Weiß experimentiert haben und in ihren Werken die Bedeutung malerischer Reduk- tion für das Medium Malerei neu ausformulierten.

Qiu Shihuas weiße Landschaften bewegen sich zwischen diesen Polen westlicher Auffassungen von Abstraktion und Reduktion und ostasiatischer Vorstellungen von Wiederholung und Leere. Seine Werke sind darin Ausdruck einer konse- quenten Ambivalenz, die sich in den „weißen Landschaften“ als unaufhörliche Wandelbarkeit von Motiv und Wahrnehmung manifestiert.

Qiu Shihua wurde 1940 in Zizhong in der Provinz Sichuan, China geboren. Er studierte an der Kunstakademie Xi’an Malerei. Dort wurde er vor allem in traditioneller chinesischer Malerei unterrichtet. Zum Ende seiner Studienzeit befasste er sich mit dem sozialistischen Realismus nach sowjetischem Vorbild. Im Jahr 1962 schloss er sein Studium ab und arbeitete während der Kulturrevolution bis 1984 als Plakatmaler für ein Kino in Tongchuan. Ausstellungen und Reisen in und nach Europa in den darauf folgenden Jahren sowie die Hinwendung zum Taoismus trugen zur Entwicklung seines heutigen Werkes bei.