Hermann Nitsch mit einer repräsentativen Ausstellung der Nationalgalerie in Berlin zu würdigen ist ein schon lange gehegter Wunsch. Der Martin-Gropius-Bau bietet mit seinen 18 Räumen eine gute architektonische Voraussetzung das große Werk des Künstlers vorzustellen.
Hermann Nitsch (1938 in Niederösterreich geboren) hat ein vielseitiges und kompromissloses Werk geschaffen, es sprengt den Kanon des üblichen Kunstverständnisses und die kritische und höchst fruchtbare Debatte über die Malerei von Nitsch hat stets im Zusammenhang mit dem Orgien-Mysterien-Theater (O.M.Theater) stattgefunden. Ein utopisches Theaterprojekt, das er seit den frühen sechziger Jahren aufführt und bis heute eine Grundlage seines auf ein Gesamtkunstwerk angelegten Oeuvres ist, Malaktion und Aktion des O.M.Theaters bedingen sich gegenseitig.
Die erste experimentelle Aktion fand im Dezember 1962 in Wien statt und dauerte circa 30 Minuten. Ein Mann wurde an die Wand gekettet, wie gekreuzigt. Er war mit einem weißen Gewand bedeckt und Nitsch goß Blut über das Gesicht des Angeketteten. Das Blut tropfte auf das Gewand. Die Art, in der Farbe (bzw. Blut) auf eine Grundlage aufgetragen wurde, von oben nach unten frei fließende Farbe, ist eine Methode mit der Nitsch in den folgenden Jahren zahlreiche „Schüttbilder“ geschaffen hat.
Diese Methode des Fließenlassen, den Zufall einzubinden, wendet er auch bei den Bildern an, die er mit Besen und Pinsel bearbeitet. Diese Haltung entspringt dem Tachismus und der gesamten „gegenstandslosen“ Kunst der Nachkriegsmoderne in deren Tradition sich Nitsch stets eingebunden hat.
Seine Theateraufführungen wurden gleichzeitig im Laufe der Jahre komplexer und ausgefeilter, an Kreuzen aufgehängte Lämmer und Stiere werden ausgeweidet, Musik und verschiedene Materialien kommen hinzu. Potentiell sind keine Grenzen gesetzt; inzwischen finden die Aktionen in großen Sälen oder im Schloß Prinzendorf statt, wo Nitsch seit 1971 lebt und arbeitet.