Asta Gröting
Die Reisekutsche von Goethe, der Mercedes von Adenauer und mein smart, 2012
Künstler/in
Asta Gröting
Titel
Die Reisekutsche von Goethe, der Mercedes von Adenauer und mein smart
Entstehungsjahr
2012
Technik und Abmessung
Polyurethan, 70 x 193 x 426 cm (Kutsche), 39 x 179 x 480 cm (Mercedes), 32 x 153 x 253 cm (smart)
Erwerbungsjahr
2012
Erwerbung der Stiftung
Die Skulpturengruppe von Asta Gröting besteht aus lebensgroßen Abgüssen aus Polyurethan und zeigt die beige Unterseite der Reisekutsche von Johann Wolfgang von Goethe, die Mercedes Limousine von Konrad Adenauer in schwarz und den eigenen smart der Künstlerin ebenfalls aus schwarzem Kunststoff. Flach auf dem Boden liegend, ragen die Räder in den Raum und geben einen ungewöhnlichen Blick von oben auf die Chassis frei, die der tragende Teil jedes Fahrzeuges sind.
Die Skulptur regt in radikaler Nahsicht ein Nachdenken über deutsche Geschichte an.
In Goethes Reisekutsche, Adenauers Mercedes und mein smart setzt Gröting sich mit Formen handwerklicher und mechanischer Produktion und deren Übergängen in digitalisierte und segmentierte Arbeitsschritte auseinander und begegnet dieser abnehmenden Greifbarkeit anhand ihrer Endprodukte. Sie fasst hier drei Karosserien aus drei Jahrhunderten als Skulpturen neu, indem sie ihnen von ihrem Inneren aus begegnet, von der Unterseite der Fahrzeuge aus, vom Abdruck ihrer Antriebsmechanismen, der Sichtbarkeit ihrer Bewegungsgesetze. Die Formen die sie dabei antrifft sind, wie von ihrer Zeit gezeichnet; von der in ihnen gelebten ebenso wie von derjenigen unseres Blicks auf sie.
Die Ansicht von Goethes Reisekutsche, einem Luxuswagen der jungen Bundesrepublik wirkt heute ungemindert präsent, aber ebenso funktionslos, wie eine Miniatur. Gröting bringt ihn näher anhand seiner Details. Ihre Gumminachformung zieht hervor, dass alles an ihm ausgearbeitet wurde, jedes Teil sich in Material und Oberfläche vom nächsten unterscheidet, dass Gefährt von Handwerkern in Einzelarbeit gefertigt und schließlich zusammengesetzt wurde. Nur immateriell, nur durch einen Scan, kann man seine Form heute noch ertasten, ganz im Gegenteil zu seinem Gegenüber, Grötings eigenem smart, den die Künstlerin auf die Seite kippte, um direkt von dessen Kunststoffhülle abzuformen. Von ihr ist alles Handwerkliche verschwunden, seine Form ist die Verkleidung einer digitalen Maschine, die nicht individuell greifbar ist. Gemeinsam mit Adenauers monströsem Schiff, einem Mercedes aus den 1950ern, fern der gesäuberten Hülle des smart, aber ebenso weit entfernt von Goethes geschmiedeter Handarbeit.
Gröting legt eine skulpturale Geschichte der Bewegung aus. Eine Geschichte der Reisenden ebenso wie Produzierenden, in der sich der Zugang zum Material radikal verschob, von der handwerklichen Anstrengung zur Formung des Materials zu der konsumistischen Greifbarkeit seiner designten Oberflächen. Gröting lokalisiert, fern einer Nostalgie der vergangenen Handarbeit, die Kunst als Ort der Rematerialisierung, an der alle Zeiten Ausgangspunkte vergegenwärtigter Nähen werden.
Grötings Werk demonstriert skulpturale Erfahrungsräume als tatsächliche Körper, zwischen Geliebten, Verwandten und kulturellen Gemeinschaften. Die größtmögliche Nähe zweier Menschen im Silikonabdruck ihrer verbundenen Körper, die Stabilisierung einer Familienbande in der bronzenen Aufsicht ihrer Köpfe und die Gummiabdrücke dreier Fortbewegungsmitteln seit der Initiation nationaler, deutscher Kulturgeschichte, reihen sich hier zu einer haptischen Gemeinschaft aus Skulpturen, die im dünnen Abdruck nach der Eigenheit der Oberflächen suchen. Grötings expandierte Hüllen erschaffen eine Art materialisierter Aura dieser Körper. Die abgeformten Unterseiten von Goethes Reisekutsche, Adenauers Dienstwagen und von ihrem eigenen smart, liegen im Raum wie stillgestellte, mechanische Tiere, deren organische Hüllen wie die Ansicht eines vergangenen Lebens erscheinen, Indizien einer kaum mehr greifbaren Vergangenheit, einer Bewegungsform abseits der Gegenwart. Es ist die hergestellte Nähe der sich verändernden gesellschaftlichen Lebensformen, seien es mechanische Hilfsmittel oder die Materialisierung unserer persönlichen Bande in der Liebe oder der Familie, die in Grötings Skulpturen greifbar werden, Verhältnisse, die uns hier als Körper im Raum begegnen.
Britta Schmitz