Richard Serra
Berlin Block for Charlie Chaplin, 1978
Künstler/in
Richard Serra
Titel
Berlin Block for Charlie Chaplin
Entstehungsjahr
1978
Technik und Abmessung
Eisen, geschmiedet, 200 x 200 x 200 cm, Gewicht ca. 7 t
Erwerbungsjahr
1979
Seit der Aufstellung des 70 Tonnen schweren Quaders aus geschmiedetem Eisen am 29. September 1979 auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie gehört der Berlin Block for Charlie Chaplin gleichsam zu den Wahrzeichen des Mies-van-der-Rohe-Areals. Richard Serra hat die Arbeit bewusst für diesen Ort konzipiert und das Verhältnis seines wuchtigen Blockes, der leicht verkantet in den Terrassenboden stößt, zur weitgescannten, transparenten Architektur der Galerie vorher genau ausgelotet.
Rückblickend erläuterte Serra 1979 in einem Interview seine damaligen Überlegungen: „Unterdessen erhielt ich von der Nationalgalerie Berlin den Auftrag, ein Projekt vorzuschlagen. Die Plattform von Mies van der Rohe ist eine rechteckige Konstruktion, ebenso wie das Gebäude. ein Quadrat auf einem Quadrat. Es schien mir deshalb unmöglich, eine weitere Konstruktion über dieser Konstruktion zu errichten. Ich wollte nicht ein weiteres Artefakt hinzufügen, sondern etwas, was aus sich heraus sein Volumen, sein Gewicht hielt und Schwerkraft erfahrbar machte. ich beschloss deshalb, einen massiven Würfel an einer Seite 7,5 cm tief in die Betonplatten abzusenken.“
Das für sein Projekt geeignete Stahlwerk entdeckte Serra in Hattingen. ln der dortigen Henrichshütte wurde von Dezember 1977 bis Januar 1978 in Anwesenheit des Künstlers der Block gefertigt und geschmiedet. „lch hatte einen 80 Fuß hohen Schmiedehammer bei Thyssen im Ruhrtal gesehen, und ich wollte damit arbeiten. Die Schmiede ist im Grunde ein hydraulischer Hammer, der Metall unter Druck presst. Der Unterschied zum Guss liegt darin, dass ein gegossenes Volumen ein Drittel bis zur Hälfte weniger wiegt als ein geschmiedetes Volumen derselben Dimension. Ich fand heraus, dass je heißer das Material ist, die Hammer umso weniger Druck brauchen. Ich verwendete einen spezifischen Stahl, der auf 1.280°C bis zur Weißglut erhitzt werden musste, um die Manipulierung der Hammer kontrollieren zu können.“
Bevor es Ende September zur Installation der Skulptur kam, musste eine fünfzehn Meter hohe Stützvorrichtung innerhalb des Mies-Gebäudes eingezogen werden, weil die Tragfähigkeit der Plattform bei weitern überfordert war, „Deshalb musste unter der Skulptur eine Säule mit Rundeisenarmierung errichtet werden, also ein Pfeiler im Museum. ich betrachte es als Erweiterung von Montage, die Architektur so zu erneuern, dass sie die Skulptur trägt. (…) Ich glaube, dass wenn Skulptur überhaupt ein Potential hat, dann das, sich ihren eigenen Ort und Raum zu schaffen, um sich in Widerspruch zu den Räumen und Orten zu stellen, für die sie gemacht wurde.“
Der angesprochene Widerstreit aber hat zunächst eine Gemeinsamkeit zur Voraussetzung. Beide Werke, das Haus und der kompakte Würfel, der sich gewissermaßen in den erweiterten Schutzraum des ausgespannten Daches hineinbegibt, sind auf dem Quadrat aufgebaut, einer elementaren Form, die wie keine andere als Sinnbild der Ausgewogenheit und einer in sich gefestigten Ruhe gilt. Aus dieser Verwandtschaft heraus entwickeln sich die Kontraste, unter denen vor allem die leichte Schrägstellung das wichtigste Moment darstellt. Durch diesen „Kunstgriff“ wird nicht nur die Eigengewichtung des Blockes destabilisiert, sondern die daraus entstehende dynamische Dimension tangiert unvermutet auch die ruhige Ausstrahlung des Hallenbaus. Zugleich verbindet die „Zuneigung“ des massiv verdichteten Kubus diesen mit der Schwere der auskragenden Deckenkonstruktion.
Zum anderen wird der Block, trotz seiner vergleichsweise geringen Größe, aufgrund seiner extrem gefestigten Geschlossenheit zum potentiellen Gegenpart der offenen Stahl-Glas-Struktur, bei der zugunsten der durchgängigen Leichtigkeit bewusst auf eine ausgewiesene Mitte, eine Art Kernsubstanz verzichtet wurde. In dieses „Vakuum“ scheint die Wucht des eisernen Würfels hineindrängen zu wollen. Man könnte auch sagen, der dem Tempel fehlende Altar ist, wenn auch im Außenbereich aufgestellt, nachträglich hinzugekommen. Zwischen den beiden selbständigen Kunstwerken ist ein innerer Bezug entstanden, der sich über die tektonische Nähe hinaus auch auf die weiterreichende innere Ausdruckskraft erstreckt. Dem entspricht auch, was Dieter Honisch 1980 über den Berlin Block for Charlie Chaplin schrieb: „Dem Materialaufwand steht die Entwertung dieses Materials – durch die Schrägstellung – entgegen, die Überbetonung des Physischen wird gleichzeitig zu einer Frage nach dem Metaphysischen: Grabmal, Opferstatte, Kaaba, Mahnmal? Die ikonographische Anspielung wird ganz unmittelbar anschaulich und in der ,Kunstlosigkeit‘ des Objekts auch nahegelegt.“
Fritz Jacobi