Bill Viola
He weeps for you, 1976

Künstler/in
Bill Viola

Titel
He weeps for you

Entstehungsjahr
1976

Technik und Abmessung
Videokamera und deckenmontierter Röhrenprojektor, Kupferrohr mit Ventil, Wassertropfen, Tambourin, Verstärker, Lautsprecher

Erwerbungsjahr
1993

Auf der Visitenkarte von Bill Viola findet sich anstelle der üblichen Berufsangabe lediglich das Wort "Video". Das ist keine Koketterie, es ist Programm. Er selbst bezeichnet sich nicht als Künstler. Obwohl er stets die neuesten Videotechniken exzellent beherrscht, ist Bill Viola kein materialverliebter Videotechniker. Nicht das Video als Genre ist für ihn von Bedeutung. Es stellt für seine Kunst lediglich das gut beherrschte Werkzeug dar, mit dem er "Neue, nie gesehene Bilder" dem Betrachter in adäquater Form anbietet.

In seinem Studio in Signal Hill befinden sich keinerlei Bilder, es gleicht eher einem nüchternen Laboratorium der Technik. Um ihn herum nur die Uhr als Symbol der ablaufenden Lebenszeit, ein Ei, ein Stein und eine Schautafel mit der Geschichte der Mathematik.

Die Video-Installation "He weeps for you" ist eine sehr frühe Arbeit in seinem inzwischen großen Œuvre. Er hat sie im Alter von 26 Jahren geschaffen, sie wurde auf der "documenta 6" in Kassel 1977 erstmals öffentlich ausgestellt. Man betritt einen quadratischen dunklen Raum, vorn auf der Leinwand ist ein real projizierter Wassertropfen, in dem sich das Bild des Beobachters spiegelt. Der Tropfen zittert und wird voller und voller, bis er schließlich herabfällt. Der Besucher nimmt den Klang des Tropfens auf die sichtbar installierte, elektronisch verstärkte Trommel wahr. Dieser Vorgang wiederholt sich endlos. Der Moment, in dem das Bild erscheint, ähnelt einem Geburtsvorgang. Das Anschwellen des Tropfens zeigt in geraffter Form die Lebenszeit, während der Klang den Moment des Verschwindens festhält.

"He weeps for you" gerät zur Parabel einer "mystischen" Begebenheit, in der die Wasseroberfläche nicht nur spiegelverkehrt das Bild des Menschen auf ihn selbst zurückwirft, sondern der Mensch zuerst vergeht, um in einem warmen Ton zu verschwinden, in ein Nichts metamorphosiert, um dann aus dem Wasser wieder aufzutauchen. Er hat inzwischen eine andere Sphäre betreten, eine geheimnisvolle Welt, von der wir noch nichts wissen. Der Tropfen verunklart einen Moment lang das Bild, dann ist er verschwunden. Dieses unbekannte Andere, diese Seite der Erfahrungen wird von nun an in allen seinen weiteren Arbeiten erforscht, es ist Violas Absicht, die "Pforten der Wahrnehmung" zu öffnen.

"In unseren horizontalen Modellen von Zeit und Bewegung, unserem Bild von den Ablagerungen der Zeit und unseren Ausdrücken des 'Hinab' durch dei Geschichte und des 'Herauf' durch dei Evolution, wir der senkrechte Pol das stetig Gegenwärtige, der verbindende Farben, das gleichzeitige, immerwährende 'Jetzt' in dem wir in eben diesem Augenblick leben und immer gelebt haben.
Es ist der einzelne Punkt, der dann, wenn er verschoben wird, zur Linie, zur Oberfläche, zu den festen Gebilden unserer Welt und unseres Bewußtseins wird und der ohne die Weitergabe von Bewegungsenergie (Zeit) und ohne die Bewegungsrichtung (Raum) wiederum zum Punkt wird - ein Vorgang, der durch unseren Hauch noch weiter angetrieben wird, da wir alle im Verlauf unserer indivduellen Reise seine große Struktur im kleinen wiederholen" (Bill Viola 1994).

Britta Schmitz